Darmkrebs nicht diagnostiziert – kein Mitverschulden des Patienten

15. August 2019


Ist ein Arzt wegen Behandlungsfehler zum Schadensersatz verpflichtet, kann er sich nicht in jedem Fall auf ein Mitverschulden des Patienten berufen.

Eine Patientin stellte sich August 2007 wegen zum Teil spritzender Blutungen aus dem Anus bei einem Facharzt vor, der Hämorrhoiden und eine Analfissur diagnostizierte und behandelte. Koloskopie oder Rektoskopie wurden von dem Facharzt keine veranlasst. Dem überweisenden Arzt wurde mitgeteilt, dass bei Beschwerdefreiheit zunächst keine weiteren Sitzungen geplant seien und eine ergänzende hohe Koloskopie nicht zwingend erforderlich sei.

Im Mai 2008 diagnostiziert ein Klinikum Darmkrebs bei der Patientin, der bereits in die Leber metastasiert hatte. Die Patientin nahm wegen der unterbliebenen Darmspiegelung einen groben Behandlungsfehler des Facharztes an und behauptete, dass bei Durchführung der Darmspiegelung der Tumor früher erkannt und seine Vergrößerung sowie die Metastasenbildung verhindert worden wären. Sie erhob im Dezember 2011 Klage. Im Dezember 2012 verstarb die Patientin an den Folgen der Krebserkrankung.

Das Oberlandesgericht urteilte, dass ein Schadenersatz von 70.000 Euro angemessen sei. Es obliege zwar dem Patienten, bei Verschlechterung seines Gesundheitszustandes einen Arzt aufzusuchen. Treten aber Symptome (hier: Darmblutungen) auf, für die der Arzt Erklärungen gegeben hatte, die keine zeitnahe Wiedervorstellung nahelegen (hier: Hämorrhoiden und Analfissur), so ist es kein Sorgfaltspflichtverstoß, wenn sich der Patient bei Wiederauftreten der Symptome nicht sofort wieder in Behandlung begibt. Vielmehr darf er zumindest eine Zeit lang darauf vertrauen, dass keine ernsthafte Erkrankung (hier: Darmkrebs) vorliegt.

Oberlandesgericht Braunschweig, Urteil vom 28.02.2019–9 U 129/15

Stefanie Pranschke-Schade
Rechtsanwältin und Mediatorin
Fachanwältin für Medizinrecht
schade[at]arztrecht.de

 

 

 

 


Zurück zur Übersicht