Angstthema - Digitalisierung

10. Juli 2020


 

Die Corona-Krise wird zum Katalysator oder auch Brandbeschleuniger über die Rolle der Ärzteschaft in der Gesundheitsversorgung in Deutschland. 

Im Vergleich zu anderen Staaten ist sowohl der Krankenhaussektor als auch der der niedergelassene Sektor nicht in einer führenden Funktion bei digitalen Anwendungen.

Dennoch muss die Bundesrepublik als Staat hier auf eine führende Rolle achten, weil der andere Vorzeigesektor unserer exportorientierten Volkswirtschaft neben der Gesundheit die Automobilindustrie ist. Diese schwächelt im Moment extrem. Auch hier ist der gleiche Grund. Skepsis gegenüber E-Mobilität, verkörpert symbolisch durch den amerikanischen Hersteller Tesla, den die deutschen Automobilanbieter VW, Mercedes, BMW nicht ernst genug nahmen.

 

Besitzstandswahrung gegen Innovation – Ein verdeckter Glaubenskrieg?

Die Bundesärztekammer hat sich für eine starke Beschleunigung von Dienstleistungen mit digitaler Grundlage ausgesprochen. Gleiches gilt für die Aussagen des Sachverständigenrats im Gesundheitswesen bezüglich der Ersetzung von Kontrollterminen in der Arztpraxis durch Dauerüberwachung von Vitalparametern mit Körpersensoren/Wearables. Solche Aussagen sind immer mittelfristige Leitlinien für die Gesetzgebung durch die Politik.

In der Corona-Krise ersetzte der Einsatz von Videosprechstunde und Arzthelferinnen mit Messvorgängen in der Häuslichkeit bisher praxisorientierte, persönliche Behandlungs- und Betreuungsvorgänge.

Das Nutzerverhalten bezüglich der Videosprechstunde stieg von 2% auf 30% innerhalb der Arztgruppe innerhalb von 4 Monaten.

Polarisierte Ärzteschaft: 30% Innovatoren gegen 70% Skeptiker

Verfolgt man die Kommentare der ärztlichen Leser auf Beiträge ärztlicher Berufspolitiker aus dem Kreise der Bundesärztekammern und KVn in Ärzteplattformen wie Coliquio, ESANUM, ärztlichen Nachrichtendienst oder im Deutschen Ärzteblatt sieht man bei Digitalthemen die Äußerung extremer Emotionen, von Wut und Groll. Dabei ist zu berücksichtigen, dass in der emotionalen Bewertung - nicht öffentlich ausgesprochen -, wahrscheinlich die Mehrheit der Delegierten/Amtsträger in den Körperschaften ähnlich skeptisch sind, wie die Basis mit ca. 70% überwiegender Ablehnung.

Der Konflikt liegt darin, dass die politischen Parteien Antworten für eine zukunftsfähige Versorgungsstruktur aktuell benötigen, weil sie durch die Todesfälle in Altersheimen im Rahmen einer älter werdenden Gesellschaft massiv unter Druck stehen.

Selbstvermessung als lifestyle!

Die jüngere Generation bis 45 Jahren hat sich schon für die Digitalisierung entschieden. Präventive Tele-Monitoring von Gesundheitsdaten durch Smart-Watches mit vielen Vitalparametern gehört zum selbstbezahlten Lifestyle. Die Überwachung übernehmen Computer von Google, Amazon und IBM. Die Anbindung dieser Generationengruppe durch Angebote regionaler, personalisierter präventiver Gesundheitsleistungen haben die kurativ geprägten Praxen schon verschlafen.

Altenheime als mahnendes Beispiel für Verwaltungsversagen

Älteren Patienten mussten insbesondere im Bereich Altenheime einen hohen Zoll an Sterbefällen für Versäumnisse und Überforderung der Institutionen bezahlen.

Jede ältere Bürger und seine Angehörigen fürchtet eine zweite Welle der Corona-Epidemie oder der nächsten dann folgenden Epidemie.

Würden sich in diesem Szenario die Spitzen der verfassten Ärzteschaft gegen Digitalisierung – auch gegebenenfalls nur als Lippenbekenntnis – stellen, wären die Ärzte in einer polarisierten gesellschaftlichen Auseinandersetzung die Schuldigen.

Wer wird im Alltag für Digitalisierung zuständig sein?

Die Folge wäre eine neue Arbeitsteilung. Die Politik würde anderen industrielle oder nichtärztliche Gesundheitsdienstleister den kompletten Bereich digital erbringbarer Leistungen von Seiten der Gesellschaft übertragen. Einfluss, Macht und Nachfrage nach ärztlicher Kompetenz wäre nicht mehr für die Gesellschaft zu existenziell wie jetzt. Die gesamte Aufbauarbeit zugunsten ärztlicher Kompetenz Bedeutsamkeit, auch repräsentiert durch gute Bezahlung im Krankenhaus und im niedergelassenem Sektor wären gefährdet.

Ein Rückblick in die Geschichte. Im Rahmen der Industrialisierung waren Flößerdienstleistungen zentrale Logistik Rückgrat für die neuen Fabriken und Industriebetriebe des Maschinenalters. Sie transportierten Baustoffe, Rohstoffe und Industrieprodukte.

Dann kam die Eisenbahn. Sie wurden von den Flößern zuerst belächelt, dann für überflüssig erklärt und dann verschwand der Berufsstand der Flößer.

Mit der Einführung der Fernbehandlung fiel das Monopol der regionalen, physischen Behandlungsmöglichkeit der niedergelassenen Ärzteschaft. Notwendig sind nun regionale, kollektiv ärztliche digitalbasierte Antworten. Ein Beispiel ist die Überlegung eines Kölner Ärztenetzes ein von regionalen Ärzten betriebenes 7/24 Stunden Callcenter/bzw. eine Videokonsultationspraxis aufzubauen. Rechtsfigur könnte eine Genossenschaft von niedergelassenen Vertragsärzten und diese unterstützenden regionalen  Krankenhäusern sein. Diese betrieben die Videopraxis und verweisen Patienten mit Bedarf nach höchstpersönlicher Untersuchung an regionale Partnerpraxen.

Fazit:

Es ist die Aufgabe der niedergelassenen Regionalärzte sich jetzt mit digitalen Strukturen besser und empathischer für die Patienten vor Ort zu engagieren. Überlässt man aus verständlichem emotionalen Widerstand dieses Feld internationalen Plattform-Konzernen ist dies ein Betrag zu einem freiwilligen kollektiven Suizid eines Berufsstandes. Immer gilt es zu beachten, dass solange Deutschland Mitglied der Europäischen Union ist, können Fernbehandlungsdienstleistungen auch aus anderen EU-Ländern angeboten werden. Wenn insoweit wir national das Feld den anderen Partnerstaaten in Europa überlassen, ist dies ein strategisches Versäumnis. Es gilt sich zusammenzusetzen und auf regionaler Ebene neue, bessere, oft auch gemeinsam getragene Dienstleistungskonzepte zu entwickeln. Wahrscheinlich werden die Lösungsansätze jetzt aus dem Kreis der selbstständigen Ärzte kommen, die zu den führenden 30% der Innovatoren kommen.

Es wäre aber traurig, wenn diejenigen, die zur Zeit noch Widerstand leisten damit abgekoppelt würden von einer gesamtgesellschaftlich, neue, berufsständischen Zukunftsentwicklung.

 

Hans-Joachim Schade
Rechtsanwaltn und Mediator
Fachanwalt für Medizinrecht
hjs@arztrecht.de


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