Vortrag von Rechtsanwalt H.-J. Schade und Dr. Florian Hölzel anlässlich des 11. Genossenschaftstag Weser-Ems 2019 am 6.11.2019 in Rastede

14. November 2019


Es gilt das gesprochene Wort.

Rechtsanwalt H.-J. Schade:

Mein Kollege Rechtsanwalt Dr. Hölzel stellt die Erfahrungen dar, die wir als Kanzlei bei abgeschlossenen oder laufenden Projekten mit Arztpraxen als Anstalt öffentlichen Rechts in mehreren Bundesländern gewonnen haben. Auch die Grundidee für das genossenschaftliche Eifel-Modell von Ärzten hat der Unterzeichner angestoßen. Die öffentlich-rechtlichen Praxen befinden sich in Katzenelnbogen, Rheinland-Pfalz, Schwarzenborn/Hessen und Werlte/Nieder-sachsen. Weitere aktuelle Projekte befinden sich in der Umsetzung im Hochsauerlandkreis/Nordrhein-Westfalen und in Unterfranken/Bayern.

Im Folgenden wird ein völlig neuer Weg dargestellt, der auf die Bildung von Genossenschaften für Gesundheit und Soziales hinzielt, die die Bevölkerung und die regionalen Unternehmen in die Lage versetzen, mit den Kommunen schnell und nachhaltig zukunftsfähige regionale Versorgungsinnovationen anzustoßen und zu finanzieren. Sie finanzieren Arztpraxen und Gesundheitsnetzwerke und stellen Schulungen/Tablet für Patienten, Angehörige und Nachbarschaftshilfe zur Verfügung. Es ist ein Bottom-up-Ansatz.

Gesellschaftspolitisch wichtig ist in diesem Zusammenhang eine Veröffentlichung des Ministerium für Soziales und Integration Baden-Württemberg   Zukunftsfähige Gesundheitsversorgung im ländlichen Raum“ unter Autorenschaft des Institutes für Allgemeinmedizin, Prof. Gerlach, Frankfurt am Main, durch Frau Dr. Erler und dem Beratungsunternehmen Quaestio.

Zentrale Botschaft ist dort, dass es ohne ein Engagement von Kommunen und Bürgern nicht möglich sein wird, attraktive und die Region sicher versorgende Strukturen für die Zukunft zu schaffen. Bedeutsam ist darüber hinaus auch die Botschaft, wie sie die Gesundheitsministerkonferenz für die nächsten Jahre formuliert hat. Sie geht davon, dass die Grundmangelstrukturen bei Hausärzten, Pflegekräften und ausreichender Menge von pflegenden Angehörigen nur durch Digitalisierung und Delegation unter Einbindung der Bevölkerung bewältigt werden kann.

Verkürzt kann man formulieren, dass überall durch Modellversuche Lösungen zur Verfügung stehen, die es gestatten, den Mangel an Hausärzten, Pflegekräften und pflegenden Angehörigen zu kompensieren. Das aber der Umsetzung auf der einen Seite eine massive Finanzierungslücke gegenübersteht, die Notwendigkeit jahrzehntelanger Zuständigkeiten zu verändern und die Angst, dass neue Strukturen wichtige, hochgeschätzte Versorgungsphilosophien von Hausärzten und Versorgungserwartungen vom Patienten gefährden.

Jede Kommune kann eine hausärztliche Versorgungsgarantie ihren Bürgern geben. Dies ist naturgemäß ein sprachlicher, symbolischer Unschärfebegriff. Er zeigt das Ziel: Geborgenheit zu Hause – ohne Arzt – medizinisch versorgt sein zu können.

 

Vortragsziel:

LebensXXlange hausärztliche Versorgungsgarantie für die Menschen der Weser-Ems-Region

durch

digitalbasierte regionale Gesundheits- und Quartierskonzepte

getragen

durch

Genossenschaften von Bürgern/Unternehmen und Kommune

mitorganisiert

durch Volksbanken und Sparkassen

Nicht auf den Staat warten – starten!

Voraussetzung ist allerdings Veränderungs- und Innovationsbereitschaft gekoppelt mit der Anschubfinanzierung für mehrere Jahre für diese neuen Strukturen.

Auszüge aus der Analyse des Gesundheitsministeriums und des Institutes für Allgemeinmedizin im Ausschnitt.

Auszug aus: www.gmkonline.de/Beschluesse.html=
92. Gesundheitsministerkonferenz am 05./06. Juni 2019 in Leipzig

TOP:

5.1 Digitalisierung im Gesundheitswesen – wichtige Grundlage für die nachhaltige und zukunftsfeste medizinische Versorgung in allen Regionen Deutschlands

Die GMK hat den folgenden Beschluss einstimmig gefasst:

Die Ministerinnen und Minister, Senatorinnen und Senatoren für Gesundheit der Länder fassen folgenden Beschluss:

1.       Die GMK begrüßt die Bestrebungen der Bundesregierung, den digitalen Wandel zu gestalten. Insbesondere der Referentenentwurf eines "Gesetzes für eine bessere Versorgung durch Digitalisierung und Innovation (Digitale Versorgung-Gesetz – DVG)" vom 15. Mai 2019 kann ein wichtiger Baustein in diesem Prozess werden.
Die Digitalisierung in Gesundheitswesen und -wirtschaft muss aber in Deutschland enorm beschleunigt und zukunftsorientiert gefördert werden, um künftig Prozesse patientenorientiert zu optimieren, zu ergänzen und neue Verfahren zu ermöglichen. Dies gilt für die medizinische und pflegerische Versorgung gleichermaßen.
Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass die bereits in vorherigen Beschlüssen der GMK thematisierte Telematikinfrastruktur perspektivisch alle Leistungserbringer erfassen muss. damit auch für die Telemedizin ein sicherer Kommunikationskanal zur Verfügung steht.

 

2.    Mit der Digitalisierung können wichtige Ziele, insbesondere

die Verbesserung der Erreichbarkeit medizinischer Versorgung für die Bürgerinnen und
Bürger,

die Überwindung von Sektorengrenzen durch digitale Lösungen für Versorgungs- und
Unterstützungsangebote,

 die Verbesserung der Qualität der medizinischen Versorgung für Bürgerinnen und Bürger

die Erhöhung der Wirtschaftlichkeit der Versorgung die Entlastung von Ärztinnen und Ärzten und Personal und damit ein Lösungsbeitrag für den bestehenden Fachkräftemangel in diesem Bereich sowie die Schaffung innovativer, regionaler Versorgungslösungen unter Berücksichtigung örtlicher Besonderheiten erreicht werden.

Gesamtgesellschaftliche Akzeptanz

3.          Für den Einsatz von digitalen Technologien bedarf es einer gesamtgesellschaftlichen Akzeptanz. Die (Weiter-) Entwicklung von Kompetenzen in der Bevölkerung und insbesondere beim Fachpersonal des Gesundheitswesens ist deshalb ein weiterer wichtiger Baustein bei der Digitalisierung. Vorbehalte in der Gesamtbevölkerung sind ernst zu nehmen; unter Abwägung von Chancen und Risiken muss über die Digitalisierung informiert werden. Die GMK sieht jedoch mit großer Sorge, dass selbst bei maßgeblichen Akteuren noch viele Hemmnisse in der Akzeptanz und Anwendung der Digitalisierung abgebaut werden müssen. Dies kann am besten durch einen adäquaten Nutzennachweis erfolgen.

Anhand entsprechender Beispiele, wie

1.          der telemedizinisch unterstützten Betreuung von Personen mit eingeschränkter Mobilität,

2.          der telemedizinisch unterstützten Betreuung von Bewohnerinnen und Bewohnern von Pflegeheimen und Menschen in der eigenen Häuslichkeit,

3.          der medizinischen Betreuung von Menschen mit chronischen und psychischen Erkrankungen durch (sektorenübergreifende) telemedizinische Lösungen,

4.          dem Einsatz von Tele-NÄPA (Nichtärztliche Praxisassistenz),

5.          der Entwicklung von arbeitsteiligen Methoden bei Diagnostik oder Nachsorge oder

6.          Formen der Telekooperation, wie telemedizinische Videovisite, soll den Akteuren im Gesundheitswesen der Nutzen einer unter Einbezug digitalisierter Anwendungen erfolgten Gesundheitsversorgung und Unterstützung sichtbar werden.

Es gilt sichtbar zu machen, dass es für den ländlichen Raum als übergeordnete Voraussetzung notwendig sein wird, eine leistungsfähige digitale Infrastruktur überall vorzuhalten, die es gestattet, modernste Messgeräte für die Übermittlung von Daten und die Dauerüberwachung von Patienten einzusetzen. Ferner leistungsfähige Kommunikationskanäle zu schaffen, die zwischen Patient und Hausarzt laufen, wo Fachärzte aus entfernt liegenden Städten und aus Krankenhäusern zugeschaltet sind.

Beim Musterbeispiel einer optimalen Versorgung dauerhaft erkrankter chronisch kranker Menschen ist beispielsweise das Konzept des MVZ-Birkenallee, Dr. Eissing in Papenburg.

Hier betreuen drei zugelassene Hausärzte mit 18 Helferinnen 9.000 Patienten im Quartal.

Es ist eine Leistungsmenge, die ansonsten in selbständigen kleinteiligen Praxen von 7 bis 9 Hausärzten bewältigt wird.

Eine solche gravierende neuartige Versorgungsstruktur verlangt sowohl die Bereitschaft der Bevölkerung/Patienten/Angehörigen unter Hausärzte selbst unter Helferinnen neue Wege zu gehen.

Zentral sind aber die psychosozialen Hindernisse bei den beteiligten Ärzten selbst, ihren Helferinnen, die oft mit den Ärzten älter geworden sind. Dort herrschen noch die Berufsbilder wie vor 25/30 Jahren. Ferner gibt es eine Zweiteilung bei den Patienten. 1/3 der über 65-jährigen ist gut mit dem Internet vertraut. Viele haben selbst bei der Umsetzung des Internets, oft auch im Bereich der Industrie schon mitgewirkt. Nur extrem eingeschränkt genutzt, eher skeptisch sind die Einschätzungen von 2/3 der älteren Bevölkerung. Hier gibt es die Bertelsmann-Studien, die klar zeigen, dass hier extreme Motivations- und Investitionsanstrengungen notwendig sind, um die eher sozial- und einkommensschwachen Bevölkerungsteile mitzunehmen und in die Lage zu versetzen, diese Möglichkeiten zu nutzen. Die Hessischen Wohlfahrtsverbände haben dies vor kurzem eindrucksvoll dargestellt.

www.awo-hs.org/fileadmin/user_upload/aktuelles/2018/Forderungen_der_Liga_Hessen_zu_Koalitionsverhandlungen.pdf

Zentral ist aber für den Anstoß, dass es Unterstützung in der zur Verfügungstellung/Verleihung von Hardware gibt sowohl für die Bevölkerung in Form von Tablets und Schulungen wie aber auch für die Ärzte und für den lokalen Einsatz und die präventive systematische Überwachung älterer Menschen Vergütungen, die die jetzigen Gebührenordnungen nicht vorsehen. All dies wäre die Aufgabe einer Dauerfinanzierung der Bürgergenossenschaften, die sich beispielsweise durch Beiträge von Unternehmen für ihre Betriebsangehörigen und Beiträge oder quasi lokale Gesundheitsversicherungstarife für innovative Versorgung um dieses Thema kümmern und die finanziellen Ressourcen übernehmen, die die gesetzliche Krankenkasse, die Pflegeversicherung und die Kommune aktuell nicht leisten kann.

Es muss quasi ein abgestimmter, gleichzeitiger Handlungsrahmen entstehen sowohl für die Digitalisierung als technische Grundlage in einer Region als auch für die Anwendung mit entsprechend geschultem Personal, Ausstattung mit Technik unter Vergütung der entsprechenden Anwendungsvarianten von Seiten Patient, Angehöriger und Helfer aus der Nachbarschaft. Die Nachbarschaft wird deshalb extrem wichtig sein, weil immer weniger bei einer hochaltrigen Gesellschaft Angehörige zur Verfügung stehen und oft die Kinder und Enkel nicht mehr im ländlichen Raum wohnen.

Zurzeit sind sowohl 2/3 der älteren Ärzte als auch der Bevölkerung skeptisch gegenüber Veränderungen. Diese Skepsis kann nur durch eine Graswurzelbewegung auf der regionalen Ebene zum Thema Digitalisierung und fortschrittliche Versorgungsstrukturen im Gesundheitswesen überwunden werden.

Daher ist es notwendig, nicht nur technisch zu denken sondern auch emotional/psychologisch positive Voraussetzungen für eine umfassende digitalbasierte medizinische und psychosoziale Versorgung in der Region zu schaffen.

Hierzu gibt es interessante Initiativen in der Bundesrepublik.

Zu nennen u.a. digitale Dörfer des Fraunhofer Institutes i.V.m. der Landesregierung Rheinland-Pfalz und digitales Dorf i.V.m. der Landesregierung in Bayern.

www.iese.fraunhofer.de/de/innovation_trends/sra/digitale_doerfer.html

Hier kommen jetzt die Ideen der Bürgergenossenschaften ins Spiel und die mögliche Rolle, die Genossenschaftsverbände, Kommunen, Volksbank und Sparkassen.

Die Umbrüche im ländlichen Raum und neue Finanz- und Beratungsinstrumente zwingen auch Sparkassen und Volksbanken zu neuen Wegen. In Hessen wollen Sparkassen und Volksbanken zeitlich im Wechsel die gleichen Räume nutzen, von denen ihre Kunden digitale Beratungsmöglichkeiten aus dem ländlichen Raum mit den Beratungsmitarbeitern in der städtischen Bankzentrale nutzen können.

Denkbar wäre, getrennt Beratungszimmer mit Arzthelferin in solchen Kooperationsräumen anzusiedeln und andere regionale Unterstützungsansätze an diesen Standorten zu konzentrieren wie Cafè/Bistro, digitalbasierte Alltagseinkaufsmöglichkeiten etc.

 www.aerzteblatt.de/nachrichten/106735/Ohne-Arzt-Praxis-im-Rems-Murr-Kreis-geplant

 

Der Präsident des Genossenschaftsverbandes Baden-Württemberg macht dieses Thema zu einem Artikel in der Börsen-Zeitung.

www.boersen-zeitung.de/index.php

Zentral ist die Überlegung, dass was für die Bürger einer Region wichtig ist, mit ihnen selbst und allen professionellen Beteiligten zu entwickeln.

Entsteht nun ein regionales Bewusstsein, wie die Möglichkeiten der Digitalisierung den älteren Menschen und seinen Angehörigen im Bereich Gesundheit aber auch Alltagseinkauf, Finanzen und ihre Verwaltung, sozialen Kontakt und ÖPNV-Nutzung helfen kann, entsteht Unterstützung.

Sinnvoll sind dazu Veranstaltungen von Kommunen, Volksbank, Sparkassen, Vereinen, IHK, Handwerkskammer. So entsteht ein Diskurs und eine breite Bewegung in Kommunalpolitik, Medien, Familien und Vereinen der Region.

Die Idee in Baden-Württemberg ist organisatorisch von dem Begriff

Hybrid-Genossenschaft

besetzt. D.h. Institutionen wie die Volksbank besetzen neben dem Finanzthema das neue Thema Gesundheit und Digitalisierung und erweitern ihre regionalen Dienstleistungen mit diese Themen.

Einen ähnlichen Schritt geht in Bayern die Bayrische Versicherungskammer als öffentlich-rechtlicher Versicherer, der im Krankenversicherungsbereich sowohl Volksbank und Sparkassen als Vertriebspartner hat. Er ist der geborene Kompetenzpartner für Volksbanken und gegebenenfalls Sparkassen.

Die Bayrische Versicherungskammer will die Kommune Wegscheid unterstützen, die eine regionale Quartiersplattform digital aufbauen will und stellt dort das Gesundheitsportal Meine Gesundheit mit vielen Anwendungen zur Verfügung.

 

www.vkb.de/content/ueber-uns/presse/pressemitteilungen/pressearchiv/2018-pressemitteilungen/20180509-umfrage-kranken/

Das Gesundheitsportal Meine Gesundheit ist eine umfassende digitale Patientenakte, die sofort von den meisten Praxisverwaltungssystemen der Ärzte, den Verwaltungssystemen der Krankenhäuser und der Krankenkassen genutzt werden kann. Verbunden mit den Möglichkeiten auch der Apotheke ein elektronisches Rezept zu senden, ist dies eine ideale breite Massenanwendung. Die gesamten Datenrechte beim Gesundheitsportal „Meine Gesundheit“ liegen beim Patienten und haben den höchsten Sicherheitsstandard.

www.vkb.de/content/ueber-uns/presse/pressemitteilungen/pressearchiv/2018-pressemitteilungen/20180509-umfrage-kranken/

Wenn also Konzepte der regionalen Stärkung im Bereich Gesundheit sowohl im Volksbanken- wie im Sparkassenlager in Modellversuchen umgesetzt werden, ist dies ein Schritt für vertiefte Aufmerksamkeit.

Regional sich klar zu machen, dass man keine Angst haben muss trotz Hausarztmangel, Pflege- und Angehörigenmangel, mit Hilfe neuer Versorgungsformen im Gesundheitsbereich ein gutes selbstbestimmtes Leben im Alter zu führen, ist schon sehr hilfreich.

Gleichzeitig können über die regionalen Plattformen nicht nur Menschen stabilisiert werden, sondern die auswärtigen Angehörigen beruhigt werden. Diese können auch von auswärts das Leben in innovativen ländlichen Gemeindestrukturen verfolgen und damit erkennen, dass mit diesem Ansatz von Bürgergenossenschaften zur Förderung von Gesundheit und Digitalisierung in Verbindung mit Quartiersplattformen auch ein wesentlicher Beitrag für die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse zwischen Stadt und Land getan werden kann. Man kann von dem Ort in Deutschland oder in der Welt am aktuellen lokalen Leben mit Gesundheit, Soziales Geschehen, Kirchgang, Gemeindepolitik teilhaben. Eine unglaubliche Chance für die Gewinnung von rückkehrwilligen Landflüchtigen und für Neubürger für regionale Touristengruppen.

   

Hans-Joachim Schade
Rechtsanwalt und Mediator
Fachanwalt für Medizinrecht
hjs@arztrecht.de


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