Jetzt digital starten statt warten!

08. August 2019


Zurzeit gibt es eine interessante statische Parallelität zwischen niedergelassener Ärzteschaft und Bevölkerung.

2/3 der niedergelassenen Ärzteschaft ist skeptisch gegenüber dem Einsatz von Telemedizin. Die Berufsbilder zum Start der eigenen Niederlassung vor 25/30 Jahren prägen das tradierte Verhalten gegenüber der Digitalisierung und Telemedizin.

Neben der eigenen Skepsis der Ärzteschaft stellt man fest, das 2/3 der Patienten über 65 Jahre generell gegenüber digitalen Prozessen zurückhaltend sind.

Vertragsärztlich ist es zurzeit tatsächlich nicht lukrativ, bedingt durch Vergütungshöhe und Deckelung, sich mit einer Videosprechstunde zu beschäftigen und sich mit den MFA`s auch ungewohnten Situationen der digitalen Diagnose und Ablaufstruktur freiwillig zu konfrontieren.

Dennoch ändert der Umbruch in Richtung Digitalität die Zukunftschancen einer Praxis dramatisch. In der hausarztzentrierten Versorgung wird der Markt geöffnet und der Druck der Politik ist auch auf KBV und Krankenkassen gerichtet, die bisherige abwartende Haltung aufzugeben und höher zu vergüten ohne Deckelung.

 

Bildungs- und Einkommensstarke Patienten neigen zu digitalen Gesundheitskonzepten – auch als Selbstzahler!

Zurzeit finden wir eine Marktspaltung. 1/3 der Patienten nutzt intensiv das Internet und auch digitalbasierte Apps und Verfahren/Sensoren zur gesundheitlichen Selbstkontrolle. Die Zeitschrift FAZ empfiehlt ihrem einkommensstarken Leserkreis nicht nur auf Monitoring-Verfahren zurückzugreifen, sondern auch umfassend die Wohnung und das Umfeld als älteren Menschen digitalbasiert, mit technischen Assistenzsystemen auszustatten (Beitrag: Statt Heim sicher daheim; FAZ Nr. 180, Seite T1, Dienstag, 06.08.2019).

Ferner sollte sich der interessierte Arzt mit zwei Veröffentlichungen der Bertelsmann Stiftung auseinandersetzen.

1. Digital souverän? Kompetenzen für ein selbstbestimmtes Leben im Alter.

2. Digitalisierung für mehr Optionen und Teilhabe im Alter.

Wissenschaftliche Untersuchungen und Wohlfahrtsverbände drängen die Politik insbesondere die 2/3 eher sozialschwächeren und bildungsferneren Bevölkerungsgruppen so zu schulen, dass sie mit digitalen Konzepten, die in Zukunft die Innovation prägen, umgehen können. Je stärker die Politik vor Ort deshalb auf kompetente und leistungsfähige Praxen zurückgreifen kann, die im Rahmen von Modellversuchen und Schulungskonzepten mitwirken können, desto eher werden diese Praxen in den Medien als digitale Partnerpraxen der Kommunen sich profilieren können. Beispielhaft hat dies der Wiesbadener Kurier gezeigt, der in mehreren Artikel die Praxen der Dres. Kau, Springborn und Thiel porträtiert hat. Inzwischen haben sich über 40 Praxen freiwillig  einem telemedizinischen Projekt der Klinikgruppe St. Josef mit Facharztkonsilen und Hausarztbesuchen durch MFA`s mit zuschaltbarem Praxisinhaber angeschlossen.

Naturgemäß sind Ärzte skeptisch. Sie sollten sich aber klar machen, dass schon jetzt die PKV, die Betriebskrankenkassen und die Techniker Krankenkassen umfassend digitalbasierte Diagnose- und Behandlungskonzepte fördern und vergüten. Ferner wird der Entwurf des Digitalen Versorgungsgesetzes ((DVG) aus dem Hause Spahn diese Richtung noch massiv innerhalb eines Jahres im Rahmen der Gesetzgebung verstärkt.

 

Holzschnittartige Beispielsrechnung über das Gewinn-/Verlust-Risiko beim Wegfall von 20/30 % zeitknappen, digital orientierten Erstkontaktpatienten

Erfahrungen in der Schweiz zeigen, dass einer Praxis durch telemedizinische Dienstleistungsangebote von KV, Krankenkassen und dem ärztlichen Wettbewerb 20/30 % Erstkontaktpatienten p. Q. verloren gehen können.

Dies muss betrachtet werden unter dem Gesichtspunkt, dass 20 % überwiegend älterer sozialschwacher kranken chronischer Patienten Haus- und Fachärzten der Grundversorgung ca. 60 % der Arbeitszeit und der Kontaktzahlen blockieren. Diese Mehrfachpatienten pro Quartal sind nicht kostendeckend, sondern  unrentabel. Bisher war die Kalkulation, diesen Patienten im Rahmen von Pauschalvergütungen ausreichend neue Patienten mit geringem Zeitaufwand und maximal 1 – 1,5 Kontakten gegenüberstanden. Diese Zielgruppe ist aber jetzt maximal durch die neuen digitalbasierten Fernbehandlungskonzepte gefährdet.

Erträge müssen somit durch eine immer ausreichende Anzahl von Neupatienten erwirtschaftet werden. Diese erbringen pro Patienten ca. EUR 45,00 bis EUR 60,00 p. Q. (holzschnittartiger Betrachtungsweise).

Besetzt der telemedizinisch digital skeptische tradiert analoge Kassenarzt diesen Bereich nicht, werden aktive digitalbasierte Arztpraxen aus der ganzen Bundesrepublik und aus dem KV- und Krankenkassenberatungssystem diesen Markt besetzen. Der Patient ist mit der Fernbehandlungsmöglichkeit nicht mehr an den regionalen Standort, mit Anfahrzeiten und Wartezeiten in der Praxis gebunden.

Entfallen so in Zukunft 20 % der Fälle, sind dies bei 1.000 Patienten pro Quartal 200 abrechenbare Fälle mit ca. EUR 60,00 Erlös. Dies sind EUR 12.000,00 Gewinn pro Quartal, weil die Kosten bleiben. Damit ist ein Gesamtbeitrag von EUR 48.000,00 zu Lasten der tradierten Gewinnstruktur pro Jahr gefährdet; fast 1/3 des durchschnittlichen Gewinns vor Steuern.

 

Wer sind die Wettbewerber im Rennen um die rentablen Erstkontakte einer Praxis pro Quartal?

Nicht umsonst steigen zurzeit Helios und Rhön als Krankenhauskonzerne und der Burda-Verlag über das Ärzteportal Jameda in den neuen Fernbehandlungsmarkt ein. Es geht um die Steuerung der Patientenströme. Wer nicht aufpasst muss damit rechnen, dass die Patienten, die eine Behandlung brauchen, in den MVZ der Krankenhauskonzerne im ländlichen und sozialschwachen Raum landen. Burda steuert mit Jameda und seinem Teledienstleister Patientus eine umfassende gezielte Positionierung seiner beitragszahlenden Arztmitglieder im Ärzteportal Jameda an. Gleichzeitig entsteht darüber auch die Steuerung insbesondere der Patienten, die einkommens- und bildungsstark sich für Selbstzahlerleistungen von Jameda– Arzt-Mitgliedern interessieren.

Die strategische Ausrichtung von Burda ist für den interessierten Unternehmerarzt ein Beispiel für den umfassenden, digitalbasierten Umbruch des Gesundheitswesens.

Deshalb soll das Strategiekonzept von Burda als Beispiel für die tiefgründige Veränderung der ambulanten Versorgung dargestellt werden. Im Bereich der gedruckten Zeitschriften für den Selbstzahlermarkt hat die Burda-Gruppe die Zeitschrift Focus als gesundheitsorientiertes Nachrichtenmagazin und die Unterhaltungszeitschrift „Bunte“. Gleichzeitig betreibt Burda das Arztbewertungsportal Jameda in Verbindung mit dem neu gekauften Telemedizindienstleister Patientus.

Parallel gehört zum Dienstleistungsbereich von Burda eine digitalbasierte Kooperation mit der Apothekengenossenschaft Noveda mit einem Marktanteil bei den Apotheken von 2/3. Dazu gehört ein neues Magazin für Apothekenkunden und die Möglichkeit der digitalen Rezeptsteuerung. Zusätzlich hat seit Ende Juli 2019 der größte digitale Gesundheitsinformationsdienst der Bundesrepublik für interessierte Gesundheitskunden „Net-Doktor“ zum digital gesteuerten Gesundheitsbereich der Burda-Gruppe erworben. Dies wird ergänzt durch die digitale Stadtteilplattform „nebenan“, die das gesamte Einkaufs- und Gesundheits- und Kommunikationsverhalten von Stadtteilen und Quartieren auf Nachbarschaftsebene steuern kann. Damit kann Burda umfassend die Bürger und Ärzteschaft digital vernetzen und beeinflussen. Eine zukunftsfähige Unternehmerpraxis muss durch digitale Netzarbeit zwingend ergänzt werden.

Das Beispiel zeigt, dass neben den bisher großen internationalen Digitalanbietern von Gesundheit wie Google, IBM und Amazon auf dem lokalen deutschen Bereich nun Burda auftritt, die mit einer ausgefeilten Strategie, die auf Stadtteilen aufsetzt. Hinzu kommen die Konzepte von Helios und Rhön mit ihrem Krankenhaus- und MVZ-Konzepten.

Wer als Arztpraxis sich dieser Kommunikationsinstrumente bedienen kann, kann innerhalb von 2 bis 3 Jahren die Menge einkommensstarker und bildungsstarker digitalbasierter Selbstzahler- und Privatpatienten vergrößern und gleichzeitig aber auch seine Anteile an einem rentablen Kassenmarkt verstärken.

 

Fernbehandlungsärzte können von zu Hause/Home-Office als Basis arbeiten!    

Die Vertreter der Berufsverbände, der Kammern und KV`en betonen mit Recht, dass immer noch der Goldstandard das zuwendungsorientierte persönliche Gespräch ist. Dies wird auch in Zukunft so sein. Dennoch gilt emotionsfrei festzustellen, dass im Bereich der Mehrfachkontakte, die ein dauerhaft chronisch kranker Patient benötigt, es im überwiegenden Fall auch ausreicht, das auf MFA-Basis nichtärztliche persönliche Spezialbetreuer den Wunsch nach menschlicher Zuwendung erfüllen können. Diese Patienten sind der Arztpraxis schon jahrelang  durch die Mehrfachkontakte im Quartal umfassend seit Jahren vertraut. Hier setzt die ergänzende Dauerbetreuungsfunktion von Fernbehandlungsärzten von zu Hause an. Damit erschließt sich einer unternehmerischen Arztpraxis ein erweitertes Arztpotential und angestellten Teilzeitärztinnen, die von zu Hause arbeiten und entsprechend älteren Seniorärzten. Diese können somit – ohne dass die Praxisärzte gefordert werden – sowohl die Dauerpatienten – auch wenn sie in die Praxis kommen über Home-Office Teledoktoren betreuen. Im Zweifel  kommt der diensthabende Praxisarzt noch kurz aus Zuwendungs- und Abrechnungsgründen zum Patienten des ländlichen Raums.

Wer sich für dieses Thema interessiert oder mit dem Unterzeichner diskutieren will, kann sein Wissen vertiefen u. a. im > Workshop am 21. September 2019.

 

Digitalbasierte Zukunftssicherung für Unternehmerpraxen – global statt lokal handeln!

 

 

Hans-Joachim Schade
Rechtsanwalt und Mediator
Fachanwalt für Medizinrecht
hjs@arztrecht.de

 

 


Zurück zur Übersicht