Kassenärztliche Vereinigung hat im Insolvenzverfahren gegenüber dem Vertragsarzt volle Beweislast

25. November 2014


Meldet die Kassenärztliche Vereinigung im Insolvenzverfahren eines Vertragsarztes eine Honorarrückforderung aus „vorsätzlicher unerlaubter Handlung“ an, um dadurch die Teilnahme der Honorarrückforderung an der Restschuldbefreiung des Vertragsarztes nach Abschluss des Insolvenzverfahrens zu verhindern, obliegt ihr die volle Darlegungs- und Beweislast in Bezug auf eine vorsätzliche unerlaubte Handlung. Alleine der Umstand, dass die Sammelabrechnung des Vertragsarztes für die streitbefangenen Quartale unrichtig gewesen sein mag, führt nicht zu einer Umkehrung der sekundären Darlegungs- und Beweislast zugunsten der Kassenärztlichen Vereinigung. Dies umso mehr, wenn die Kassenärztliche Vereinigung Beteiligungsmöglichkeiten am strafrechtlichen Ermittlungsverfahren nicht wahrgenommen habe (OLG Karlsruhe, Entscheidung vom 18.11.2014, Az.: 19 U 47/13).

Der Beklagte war bis zu Beginn der 2000er Jahre als Vertragsarzt zugelassen. Er rechnete über elf Quartale hinweg vertragsärztliche Leistungen über die Kassenärztliche Vereinigung zulasten der gesetzlichen Krankenkasse ab, bei denen es sich tatsächlich nicht um vertragsärztliche Leistungen handelte. Hierauf wurde ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet. Nach den Feststellungen des Urteils des Strafgerichts wurde durch das Verhalten des Beklagten ein Schade in mindestens sechsstelliger Höhe verursacht. Der Beklagte zahlte schon während der Dauer des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens an die Kassenärztliche Vereinigung einen darüber hinausgehenden Betrag zurück.

Nach Abschluss des Strafverfahrens fiel der Beklagte in Insolvenz. Die Kassenärztliche Vereinigung war der Meinung, dass die vertragsärztlichen Sammelerklärungen des Beklagten insgesamt fehlerhaft waren und sie das gesamte, an ihn ausgereichte vertragsärztliche Honorar rückfordern könne. Sie forderte diesen Gesamtbetrag, der weit über die vom Beklagten geleistete Rückzahlung und den vom Strafgericht angenommenen Mindestschaden lag, zurück und meldete diesen zur Insolvenztabelle an.

Sie machte dabei außerdem geltend, dass es sich um eine Forderung aus „vorsätzlicher unerlaubter Handlung“ handele, offensichtlich verbunden mit der Hoffnung, damit nicht an der Restschuldbefreiung zugunsten des Vertragsarztes nach Abschluss des Insolvenzverfahrens teilnehmen zu müssen und die volle Rückforderung durchsetzen zu können.

Der Insolvenzverwalter des Beklagten bestritt den Rechtsgrund der Forderungsanmeldung. Die Kassenärztliche Vereinigung erhob hierauf zivilrechtliche Klage zum Landgericht, die in erster Instanz (Entscheidung des Landgerichts Heidelberg vom 27.02.2013, Az.: 5 O 259/12) abgewiesen wurde.

Die Kassenärztliche Vereinigung hielt jedoch an ihrer Ansicht fest und machte ihre Anmeldung zur Insolvenztabelle aus „vorsätzlicher unerlaubter Handlung“ in der Berufungsinstanz beim Oberlandesgericht Karlsruhe geltend. Sie brachte dazu vor, dass angesichts der fehlenden Dokumentation des Beklagten und früheren Vertragsarztes eine sekundäre Darlegungs- und Beweislastlast zu ihren Gunsten bestünde. Im Übrigen handele es sich bei der Norm des § 35 Abs. 2 Bundesmantelvertrag-Ärzte um ein Schutzgesetz nach § 823 Abs. 2 BGB, das der Beklagte (vorsätzlich) verletzt habe mit der Folge, dass die geltend gemachte Forderung als solche aus vorsätzlicher unerlaubter Handlung berechtigterweise geltend gemacht worden sei.

Der zuständige Senat beim Oberlandesgericht Karlsruhe hat die Berufung durch Urteil vom 18.11.2014 (Az.: 19 U 47/13) zurückgewiesen. Entgegen der Ansicht der Kassenärztlichen Vereinigung lägen die Voraussetzungen einer Verlagerung der sekundären Darlegungs- und Beweislast zugunsten der Kassenärztlichen Vereinigung nicht vor, auch wenn der Senat dazu nicht auf vergleichbare Fälle zurückgreifen könne. Allgemein komme es für eine Verlagerung der sekundären Darlegungslast auf den Beklagten darauf an, dass alleine dem Beklagten alle wesentlichen Tatsachen bekannt seien und ihm nähere Angaben dazu im Vergleich zum Kläger zumutbar seien.

Der Senat machte im vorliegenden Fall deutlich, dass es an diesen Voraussetzungen fehle.

Aufgrund des der Rückforderung vorausgegangenen strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens wäre es nach Ansicht des Senats der Kassenärztlichen Vereinigung ohne weiteres möglich gewesen, selbst etwaige (weitere) wesentliche Tatsachen in Bezug auf die Höhe der Rückforderung und das Verschulden des Beklagten zu erhalten. Zudem seien seit der Anmeldung der Forderung zur Insolvenztabelle durch die Kassenärztliche Vereinigung mittlerweile mehr als zehn Jahre vergangen. Selbst einmal zugunsten der Kassenärztlichen Vereinigung unterstellt, dass alleine dem Beklagten als (früherer) Vertragsarzt die wesentlichen Tatsachen um die der Abrechnung zugrundeliegenden Leistungen bekannt seien, sei es ihm jedenfalls nicht mehr zumutbar, solche Angaben zu machen.

Der Senat hob in diesem Zusammenhang hervor, dass der Kassenärztlichen Vereinigung zudem als Körperschaft des öffentlichen Rechts sozialrechtliche Verfahren und Instrumentarien zustünden und sie deshalb – anders als andere Gläubiger – weniger schutzbedürftig sei. So könne die Kassenärztliche Vereinigung als Körperschaft des öffentlichen Rechts selbst einen Honorarrückforderungsbescheid als Verwaltungsakt erlassen und sich damit einen Titel schaffen.

Nach Ansicht des Senats begründe sich der von der Kassenärztlichen Vereinigung geltend gemachte Anspruch auch nicht aus der Norm des § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 35 Abs. 2 BMV-Ä. Die Regelung des § 35 Abs. 2 BMV-Ä verpflichte der Auslegung durch das Bundessozialgericht nach zwar den Vertragsarzt zur peinlich genauen vertragsärztlichen Abrechnung. Die Norm stelle jedoch kein Schutzgesetz im Sinne des Zivilrechts dar, da ansonsten auch Fälle einfach fahrlässig falscher Abrechnungen dazu führten, dass der Kassenärztlichen Vereinigung und ihren Gremien Rückforderungsanspräche aus vorsätzlicher unerlaubter Handlung zustünden. Dieses Ergebnis sei vom Gesetzgeber schlechterdings nicht gewollt. Dies umso mehr, als der Kassenärztlichen Vereinigung und ihrer Gremien sozialrechtliche Verfahren und Instrumentarien zur Honorarrückforderung zustünden.

Der Senat hat der Berufung der Kassenärztlichen Vereinigung damit den erhofften Erfolg versagt. Er hat außerdem deutlich gemacht, dass er die Revision zum Bundesgerichtshof nicht zulassen werde.

Es bleibt abzuwarten, ob die Kassenärztliche Vereinigung die Entscheidung des Senats beim Oberlandesgericht in Rechtskraft erwachsen lassen wird oder die Sache mit der sogenannten Nichtzulassungsbeschwerde zum Bundesgerichtshof in der Revisionsinstanz weiterverfolgen wird.

Dirk R. Hartmann
Rechtsanwalt und Mediator
Fachanwalt für Medizinrecht
hartmann[at]arztrecht.de


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